Erste Partys, erster Kuss, zartes Streicheln, Verlangen nach mehr – das Theaterstück „Grenzgefühle“ ist ein Ritt quer durch die Jugend. Die Zuschauer ab dem Alter von zwölf Jahren, die die Nikolaus-von-Myra-Förderschule oder die Förderberufsschule in Dürrlauingen besuchen, kriegen eine Ahnung, was ihnen da blüht, manche sind sogar schon mittendrin in der Welt der neuen Gefühle, dem Forschungsfeld der Pubertät. Die Vorführung ist aber mehr als ein spannender Blick in die Zukunft. Die Jugendlichen sollen lernen, sich verantwortungsbewusst und achtsam zu begegnen, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen und die Grenzen der anderen zu respektieren.
Den Schauspielern Josephine Volk und Michael Gleich, die ein Paar geben, gelingt es, die jungen Leute behutsam an zarte Liebesgefühle heranzuführen und doch all die krassen Widersprüche aufzuzeigen, die sich in jener Zeit ergeben. Im Raum steht nicht nur die Frage: Wer bin ich? Vielmehr befasst sich das Stück eingehend mit dem Was-will-ich? Die wichtigste Botschaft in diesem Zusammenhang: „Ein Nein ist ein Nein.“ Die Schauspieler betonen es immer wieder, in Szenen wie jener, als Sven Lea gegen ihren Willen begrapscht, schleudert sie es ihm sogar mit voller Wucht an den Kopf.
„Für Erwachsene mag dieses Nein banal klingen, Kinder und Jugendliche müssen es erst lernen“, erklärt Sozialpädagogin Christine Klein, die zusammen mit dem Ensemble durch Bayern tourt. Wie wichtig diese Präventionsarbeit ist, verdeutlichen düstere Beispiele aus der Region, wie sie kürzlich die Günzburger Zeitung auf den Tisch brachte: Das Kreisjugendamt zeigt sich alarmiert über eine ganze Palette schwerwiegende Fälle von sexuellen Übergriffen unter Minderjährigen, spricht gar von einer „Häufung“, wie sie für den ländlichen Raum ungewöhnlich hoch sei. Unter anderem sollen Jugendliche zwei Mädchen im Grundschulalter zum Beischlaf gezwungen haben. Ein Mädchen brachte den Mut auf, sich jemandem anzuvertrauen. Aber wie geht es in solchen Fällen weiter? Und: Können Eltern und Lehrer vielleicht auch Anzeichen für sexuelle Übergriffe erkennen und die potenziellen Opfer behutsam zum Reden bringen? Wie stärkt man junge Menschen, damit es erst gar nicht so weit kommt? Um entsprechende Antworten zu geben, schnürte die Dürrlauinger Schule, die zum KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus gehört, ein ganzes Präventionspaket mit Lehrer-Fortbildungen, Feedback-Runden zum Theater und Klassendiskussionen.
Vor den Kindern waren auch die Erziehungsberechtigte und Lehrer eingeladen, sich das Theaterstück anzusehen und sich mit Fachleuten aus der Jugendhilfe auszutauschen. Stellvertretender Schulleiter Andreas von Schillde zeigte sich zufrieden über die Resonanz der Eltern. Auch er habe schon Wind von Übergriffen bekommen, die von „ungeschickter, plumper Anmache bis zum Po-Klaps und dem Greifen an die Brust“ reichten. Als Lehrer wisse er, dass es es in solchen Fällen Anlaufstellen wie die KJF Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle in Günzburg gibt. „Viele Eltern sind froh, wenn man ihnen das aufzeigt.“ Und das Theaterstück sei eine gute Grundlage für Diskussionen zwischen Kinder und Eltern in den eigenen vier Wänden.
Das Theater Eukitea machte bereits zum dritten Mal mit einem Präventionsprogramm Station in der Dürrlauinger Einrichtung.Neben der Aktion Sternstunden, die die wesentlichen Kosten des Projektes trägt, haben sich die Fördervereine des Förderzentrums und der Berufsschule bereit erklärt, den schulischen Unkostenbeitrag des Projektes zu finanzieren. Die pädagogische Begleitung läuft über das Institut „FENESTRA“, das sich stark macht gegen sexuelle Gewalt, und von Sozialpädagogin Christine Klein geleitet wird. Sie holte am Ende der Vorstellung ein erstes Feedback der jungen Leute ein, die erstaunlich offen über die vermeintlich heiklen Szenen sprachen und sich selbstbewusst gaben. Ein junges Mädchen erklärte: „Ich weiß, wann ich nein sagen muss.“ Botschaft verstanden.