Mit Adipositas im Berufsbildungswerk Dürrlauingen

Konzeptbaustein zur Unterstützung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern
4. Juli 2017

Seit rund zehn Jahren besteht im KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus in Dürrlauingen die Möglichkeit, junge Menschen mit Adipositas durch gezielte Maßnahmen bei der Behandlung einer Stoffwechselstörung, die mit einem erheblichen Übergewicht einhergeht, zu unterstützen. Bis 2016 wurden diese Maßnahmen konzeptionell in Form einer Wohngemeinschaft umgesetzt, in die adipöse Teilnehmer beiderlei Geschlechts aufgenommen werden konnten.

Diese Wohngruppe hatte sich hinsichtlich der Themen Gesundheit, Ernährung, Bewegung, heilpädagogische und therapeutische Begleitung auf die Betreuung junger Menschen mit Adipositas spezialisiert. Die hinsichtlich der Diagnose Adipositas homogen zusammengesetzte Gruppe stellte ihren Alltag mit allen relevanten pädagogischen Prozessabläufen auf diese Thematik ein und erzielte damit gute, in einzelnen Fällen auch beachtliche Erfolge.

Über die Jahre wurden aber zunehmend auch die Nachteile dieses homogenen Gruppenkonzeptes sichtbar: Gewichtsabnahmeeffekte konnten nicht nachhaltig genug stabilisiert werden, das Gruppenleben drehte sich ausschließlich um das Thema Adipositas, was die Teilnehmer zunehmend störte und es gelang nur wenigen Jugendlichen, von einer pädagogischen Außensteuerung in eine selbstwirksame Innensteuerung zu kommen.

Das Adipositas-Konzept wurde daher überarbeitet und wird im September 2017 in seiner neuen Form den jungen Menschen in der Einrichtung angeboten. 

Dieses Konzept beruht auf folgenden Überlegungen:

 

  • Die ganze Einrichtung macht mit!
    Während bisher hauptsächlich eine spezialisierte Wohngruppe Maßnahmen für die betroffenen Teilnehmer anbot, soll nun durch ein Rehaplan-gestütztes Zusammenwirken der Bereiche Ausbildung, Schule, Großküche, Wohnen und Fachdienste erreicht werden, dass die Jugendlichen motivational stärker angesprochen werden. Die Themen Gesundheit, Umgang mit dem eigenen Körper allgemein, Ernährung und Bewegung im Speziellen werden von allen Mitarbeitern mit- und an die jungen Menschen herangetragen. Dadurch soll ein therapeutisch wirkendes Umfeld entstehen.

  • Individuell zugeschnittenes Förderprogramm:
    Ein Teilnehmer mit Adipostas verpflichtet sich zunächst für ein Jahr, an einem speziell auf ihn zugeschnittenes Förderprogramm teilzunehmen. Dazu gehören verbindliche Termine im Wochenablauf ebenso wie Angebote, Aktivitäten und Unternehmungen in den einzelnen Bereichen der Einrichtung. Nach Ablauf dieses Jahres findet eine Auswertung im Rahmen einer Helferkonferenz statt, bei der die weitere Teilnahme am Programm mit dem Jugendlichen besprochen wird. Die Teilnahme ist freiwillig.

  • Heterogener Ansatz auf Wohngruppenebene:
    Die Teilnehmer mit Adipostas werden in die heilpädagogischen bzw. die Internatswohngruppen „eingestreut“, sodass sie mit anderen Jugendlichen zusammenleben, die nicht an Adipositas leiden. Das Gruppenleben wird dadurch von vielen ganz unterschiedlichen Themenlagen bestimmt mit der Wirkung, dass ein adipöser Jugendlicher nicht ständig mit „seinem Problem“ konfrontiert wird. Die Wohngruppe macht hinsichtlich der Themen Ernährung, Bewegung, pädagogische und psychologische Betreuung  spezielle Angebote für die adipösen Gruppenmitglieder, aber das Gruppenleben an sich ist nicht auf diese Thematik abgestellt (inklusiver Förderaspekt). Das bedeutet u.a., dass das Essen aus der Großküche kommt und die Jugendlichen von Anfang an lernen müssen, z.B. die Essensmenge zu kontrollieren und dies in der Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen, die ein „normales“ Essverhalten zeigen.

  • Von der äußeren zur inneren Steuerung – Motivation und Selbstwirksamkeit:
    Die medizinische Forschung konnte nachweisen, dass eine Adipositasbehandlung bei Kindern und Jugendlichen idealerweise mit einer stationären Therapie in einer Fachklinik beginnt, weil unter diesen kontrollierten Bedingungen relativ schnell gute Effekte erzielt werden können. Folgt nahtlos  eine Anschlussmaßnahme z.B. in einer Jugendhilfeeinrichtung und/ oder einem Berufsbildungswerk mit einer darauf abgestimmten pädagogischen und psychologischen Betreuung, sind die Chancen zu einer nachhaltigen Sicherung der erzielten Effekte am größten.

Das Adipositaskonzept von Sankt Nikolaus verknüpft das Prinzip einer äußeren Steuerung (Programm, feste Termine, verbindliche Angebote, Kontrollmessungen) mit dem einer inneren Steuerung (Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, Motivation, Eigensteuerung, Selbstkontrolle, Entfaltung eigener Fähigkeiten, Fertigkeiten und Potenziale). Beide Elemente sind im Programm enthalten. Ziel ist die Verschiebung der äußeren Steuerung hin zu einer inneren Steuerung, vollzogen durch den Teilnehmer selbst.

Kooperationsprojekt mit der KJF Rehaklinik Hochried in Murnau

„Kombinierte berufliche und medizinische Rehabilitation von jungen Menschen mit Adipositas – selbstbewusste und selbstbestimmte Lebensgestaltung durch mehr Lebensqualität und berufliche Integration“.

Die KJF Rehaklinik Hochried in Murnau und das KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum Sankt Nikolaus in Dürrlauingen entwickeln derzeit ein Kooperationsprojekt mit dem Ziel einer Kombination von beruflicher Ausbildung und medizinischer Rehabilitation. Der interdisziplinär angelegte Behandlungsansatz dieses Konzeptes hat Modellcharakter und wird deshalb auch durch eine Patenschaft im Bundesarbeitsministerium unterstützt.

 

Peter Pfeifer
Leiter Wohnen / Tagesbetreuung / Fachdienste
Sankt Nikolaus
KJF Berufsbildungs- und Jugendhilfezentrum

 

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