Schritt für Schritt hat sie sich zurück in ein normales Leben gekämpft. „Ich bin megastolz auf mich. Ich habe gelernt, Hilfe zu holen. Ich bin da angekommen, wo ich hinwollte“, erzählt Marion Retter, die im vergangenen Sommer ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement erfolgreich abgeschlossen hat und nun Sekretärin des Abteilungsleiters Berufliche Bildung und Integration bei der KJF Augsburg ist.
Während die 30-Jährige erzählt, strahlt sie übers ganze Gesicht, sie redet schnell. Ihre lebendige und positive Art ist mitreißend. Sie ist der Typ Mensch, der sofort mit anpackt, wenn es etwas zu tun gibt. Seit Jahresbeginn ist sie die Sekretärin von Michael Breitsameter, der bei der KJF die Abteilung Berufliche Bildung und Integration leitet, zu der auch das KJF Berufsbildungswerk Augsburg gehört. „Ich schreibe Briefe und Protokolle, lege Terminmappen an, erledige die Post, bin viel am Telefon, kümmere mich um Terminvereinbarungen, Zugtickets, Hotelreservierungen, Reisekostenabrechnungen – vom Aufgabenspektrum ist es genau das, was ich mir gewünscht habe“, berichtet Marion Retter. „Alle meine Fähigkeiten kann ich hier ausüben und weiter ausbauen. Jetzt erlebe ich, wo die Theorie aus der Ausbildung aufhört und die Praxis anfängt.“
Dabei sah es vor etwas mehr als drei Jahren, zu Beginn ihrer Ausbildung im Herbst 2014, noch nicht nach solch einem Happy End aus: „Es gab immer wieder Zeiten, in denen ich alles hinschmeißen wollte, ich war psychisch total unstabil. Meine Vergangenheit hat mich immer wieder eingeholt.“ Die Vergangenheit: Marion Retter brach ihre Ausbildung zur Erzieherin ab, als 2008 ihr Sohn auf die Welt kam. Als er mit drei Jahren in den Kindergarten ging, wollte die alleinerziehende Mutter wieder zurück ins Arbeitsleben, doch nicht mehr als Erzieherin. Schon nach ihrem Realschulabschluss stand für sie neben dem Erzieherberuf auch der als Bürokauffrau in der engeren Wahl. Nun wollte sie diesen Weg beschreiten. Die Arbeitsagentur hatte ihr bereits einige Maßnahmen für diesen Weg vermittelt, doch da durchkreuzte ein Schicksalsschlag ihre Pläne. Ihr Opa erkrankte schwer, wurde pflegebedürftig und starb. Eine ihrer wichtigsten Bezugspersonen fehlte plötzlich. Denn Marion Retter wuchs bei ihren Großeltern auf, weil ihre Mutter bei einem Autounfall starb, als Marion Retter selbst noch ein kleines Kind war. „Ich bin in ein riesengroßes Loch gefallen. Mein Opa war der, der alles mit mir gemacht hat“, erzählt sie heute im Rückblick über diese schwere Zeit. Etwa ein Jahr lang ist sie in diesem Loch und in ihrer großen Traurigkeit gefangen. Aber auch ein Jahr, in dem sie ihren Sohn alleine aufzog und ihrer Oma half – eine Situation, die sie einfach überforderte.
Nach einem Jahr zieht sie selbst die Reißleine: „Ich habe gesehen, dass ich mein Leben vor die Wand gefahren habe“, so Marion Retter, die sehr offen auch über diese schwere Zeit in ihrem Leben spricht. Die Arbeitsagentur vermittelt ihr schließlich ein Jahrespraktikum bei der Diakonie. „Da wurde mir klar, dass ich einen Beruf, eine Aufgabe brauche, um wieder ein normales Leben zu führen.“ Und der Entschluss, den Beruf der Kauffrau für Büromanagement zu ergreifen, steht nun fest und wird in Angriff genommen. Im Herbst 2014, damals war sie 27, beginnt Marion Retter auf Vermittlung der Arbeitsagentur ihre Ausbildung im KJF Berufsbildungswerk Augsburg. Weil sie Mutter ist, kann sie die Ausbildung in Teilzeit machen. In 30 Wochenarbeitsstunden muss sie allerdings den gleichen Stoff lernen wie ihre Kolleginnen und Kollegen in Vollzeit.
„Hier habe ich die Unterstützung bekommen, die ich gebraucht habe“, berichtete Marion Retter im Rückblick über ihre Ausbildungsjahre. „Ich habe hier im KJF Berufsbildungswerk den psychologischen Dienst in Anspruch genommen. Das hat mir gut getan.“ Und je stabiler sie psychisch wird, desto besser kann sie sich auf die Ausbildung und das Lernen, die Tage in der Berufsschule konzentrieren. Nach drei Jahren legt sie ihre Abschlussprüfung vor der IHK mit Bravour ab und geht auf Stellensuche.
Laut Abteilungsleiter Michael Breitsameter ist genau dies der große Vorteil einer Ausbildung in einem der drei KJF Berufsbildungswerke: „Die jungen Menschen bekommen genau die individuelle Förderung und, falls nötig, therapeutische Begleitung, die sie brauchen, um eine Berufsausbildung erfolgreich abzuschließen. So leisten wir einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe.“ Und darüber, dass seine Sekretärin in einem seiner Einrichtungen gelernt hat, freut sich Breitsameter natürlich besonders.
Für Marion Retter ist es „einfach toll, dass ich es geschafft habe, meinen Traum zu erfüllen, ich bin sehr zufrieden und sehr stolz. Und was für mich das Wichtigste ist: Ich habe Spaß an der Arbeit und komme morgens gerne hierher. Es kann gar nichts mehr kommen, was mich so aus der Bahn werfen kann. Dass ich diese schweren Zeiten überstanden habe, hat mich im Nachhinein sehr stark gemacht.“
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